Hippie-Laden ist erwachsen geworden | Der Bund

2022-06-10 21:25:12 By : Ms. Coco Zheng

Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie Chrome, Safari, Firefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Kitchener an der Aarbergergasse kennt in Bern jeder. Was nicht alle wissen: Es gibt den Laden bereits seit 50 Jahren. Und die Kleider kauft noch immer der heute 74-jährige Gründer ein.

Jungen Leuten Mode zu verkaufen, muss jung halten. Der 74-jährige Kitchener-Gründer und -Chef Jürg Huber redet nicht wie ein Senior und sieht auch nicht so aus. Sein Outfit ist extravagant: hochgekrempelte, gestreifte Hosen kombiniert mit gelbem Hemd und grauem Cardigan. Huber nennt Kitchener «independent», findet lobende Worte zur Hipster-Bewegung und will auf keinen Fall gesiezt werden. Er sei «der Jürg», sagt er und korrigiert einen sofort, verfällt man aus Versehen doch ins Sie. Seine Mitarbeiter, alle deutlich jünger als er, nennen ihn «Hupe».

Das Mode-Urgestein will weder gesiezt noch fotografiert werden. Auch Interviews gebe er eigentlich keine – das Gespräch mit dem «Bund» sei eine Ausnahme, sagte er zuerst. Es sollte dann aber doch kein Interview werden: Huber untersagte den Abdruck. Er habe den Wandel von Kitchener im zweistündigen Gespräch nicht richtig zum Ausdruck bringen können, sagt er dazu, 50 Jahre seien eine lange Zeit.

Als Huber mit seiner Frau Eva und Geschäftspartner Heinz «Subo» Mischler in einem Kellerlokal an der Gerechtigkeitsgasse den ersten Kitchener eröffnet, schreibt man das Jahr 1967. In San Francisco bricht der Summer of Love an und in Bolivien wird Che Guevara erschossen. Kitchener bringt ein wenig Hippie-Flair nach Bern. Über dem violett lackierten Eingangstor an der Gerechtigkeitsgasse hängt ein Schild mit dem umständlichen Namen des Geschäfts: «I Was Lord Kitchener's Valet». Denselben Namen trägt damals ein berühmter Shop im Swinging London, der ein Jahr zuvor eröffnet worden ist. Der Laden an der Portobello Road – er soll auch von Mick Jagger, John Lennon und Jimi Hendrix besucht worden sein – verkauft unter anderem alte Militäruniformen – daher die Anspielung auf den früheren britischen Kriegsminister Herbert Kitchener.

Die Berner Kitchener-Gründer fangen mit Postern an. Ebenfalls verkauft werden gebrauchte Pelzmäntel aus Afghanistan, indischer Schmuck und Schallplatten, etwa von den Rolling Stones. Konkurrenz hat der Laden mit diesem Sortiment in Bern damals nicht. Und so macht sich das Geschäft bei Berns Jugend schnell einen Namen und ist vor allem bei den Blumenkindern sehr beliebt. Anfangs bringt der Laden Huber lediglich einen kleinen Verdienst neben dem Wirtschaftsstudium ein.

Doch schon nach zwei Jahren wird das Ganze eine Nummer grösser: Es folgt der Umzug in ein Lokal an der Münstergasse, dessen Wände ein französischer Künstler mit psychedelischen Farben und Mustern bemalt. Noch im selben Jahr landet Kitchener einen Verkaufsrenner mit den Seafarer Dungarees, der Original-Matrosenschlaghose der US-Navy-Uniform. Sie findet reissenden Absatz. Huber selbst legt aber Wert darauf, dass er nie ein Hippie war.

Der 74-Jährige kauft die Kleider, die Kitchener vertreibt, auch heute noch selbst ein. Um den Einkauf der Schuhe und Accessoires kümmert sich seine Tochter, Sarah Huber. Kitchener verkauft aber nicht nur Waren anderer Hersteller, sondern lässt unter der Hausmarke Kitchener Items auch Kleider und Accessoires produzieren. Die in Bern entworfene Mode wird in Italien, Indien, China und Portugal hergestellt.

Das Sortiment von Kitchener ist immer auch ein Spiegel der Zeit. Einige Jugendkulturen lässt das Geschäft zwar aus, so etwa die Punkbewegung. Andere wie die Surf-, Skate- und Snowboardkultur finden dafür einen umso stärkeren Niederschlag im Sortiment. Huber verkauft stets nur, was ihn selber begeistert. Ab 1975 – nun bereits am heutigen Standort an der Aarbergergasse – vertreibt Kitchener die in den USA aufkommenden Windsurfbretter und importiert erste Skateboards aus Kalifornien. Bereits 1978 kommt das erste Snowboard ins Sortiment, Jahre bevor der Snowboardboom die Schweiz erreicht.

Unter dem Namen Hooger Booger stellt Kitchener eine Zeit lang sogar eigene Snow- und Skateboards her, verkauft die Marke aber aus finanziellen Gründen an Scott. Der Skateshop Kitchener Sporting Goods – heute kurz KSG – wird später vom Geschäftspartner Heinz Mischler übernommen und seither neben dem Kitchener-Laden als eigenständiges Geschäft geführt.

1978 ist auch das Jahr, in dem die wohl grösste Erfolgsgeschichte Kitcheners beginnt: Der Laden gibt die ersten Kitchener-Säckli in Produktion, die Turnsäckli, made in China, die in der klassischen Variante mit dem Indianerlogo des Ladens bedruckt sind. Heute gibt es sie in unzähligen Muster- und Farbvarianten. Jedes Jahr kommt eine neue Kollektion heraus.

Ausdruck des Erfolgs des Kitchener-Säcklis ist der Song «Sofa» von Züri West aus dem Jahr 1996. Kuno Lauener singt darin: «. . . u sie nimmt ihre Kitchener-Sack u dr Schturzheum . . .» Für Huber ist der Song der Beweis, dass das Kitchener-Säckli zum kollektiven Wortschatz Berns gehört. Und nicht nur das: Der Begriff wird heute sogar als Synonym für jegliche Art von Turnbeutel verwendet – der Traum eines jeden Marketingverantwortlichen.

Seinem Standort an der Aarbergergasse ist das Geschäft seit Mitte der 70er-Jahre treu geblieben – obwohl die Schaufenster wegen des heute sehr regen Nachtlebens in der Nachbarschaft immer wieder mal zu Bruch gehen. In der Ladengalerie aus den 1950er-Jahren bestimmt Kitchener, was geht. Hubers Unternehmen mietet nicht nur die selbst genutzte Ladenfläche, sondern auch alle anderen – bis auf den Coiffeursalon.

Während der Standort gleich bleibt, hat sich die Kundschaft verändert: In den 80er- und 90er-Jahren kaufen hier noch vor allem Jugendliche ihre Skate- und Streetwear-Klamotten. Inzwischen hat das Geschäft die ganz jungen Kundinnen und Kunden mehrheitlich verloren. Diese kaufen eher bei H & M und Zara ein, die näher an aktuellen Modetrends und vor allem deutlich günstiger sind. Kitchener richtet sich heute stärker an «Kundinnen und Kunden, die dem jugendlichen Sturm und Drang entwachsen sind», wie es auf der Homepage heisst.

Ausdruck davon ist der 2005 eröffnete Kitchener Plus im hinteren Teil der Galerie. Mit ihm ist das Geschäft ein Stück weit erwachsen geworden. Das Sortiment ist hochwertiger und teurer als im ursprünglichen Kitchener, unterscheidet sich heute aber kaum noch von jenem im Stammhaus. Und: Die Edellinie schaffte schliesslich auch den Sprung über Bern hinaus. 2010 eröffnete im Viadukt in Zürich eine Kitchener-Plus-Filiale.

Die Modebranche wandelt sich rasant. Das bekommt nicht allen gut. Blackout, Companys, Jeans & Co., Bernie's, die Liste der Modegeschäfte, die jüngst pleitegingen, ist lang. Und sie ist seit Mittwoch um einen Namen länger: Yendi musste Konkurs anmelden. Immer schneller muss die Mode vom Laufsteg in die Läden kommen. Immer digitaler suchen wir nach unserem ganz persönlichen Stil. Und das alles soll gleichzeitig immer weniger kosten.

Auch den Berner Modeladen Kitchener stellt die Veränderung vor grosse Herausforderungen. Die Frage etwa, wie man online präsent sein will. Einerseits kostet der Aufbau eines Onlineshops viel Geld. Und noch mehr Geld kostet es, wenn man online wahrgenommen werden will. Andererseits hat Kitchener eine Grösse, mit der er das Onlinegeschäft nicht einfach links liegen lassen kann. Die Verantwortlichen, Gründer Jürg Huber und seine Tochter Sarah Huber setzen online auf die Nische. Verkauft werden nur wenige Artikel. Die Aussage ist klar: Kunde, wenn du mehr Auswahl willst, dann komm in den Laden.

Ein aktueller Trend in der digitalen Modewelt sollte kleinen, lokalen Geschäften wie Kitchener besonders zu denken geben. Verschiedene Anbieter, etwa Google, arbeiten an sogenannten Shop-the-Look-Angeboten. Dabei analysiert ein Programm ein Modefoto und sagt dem Kunden, wo er ähnliche Kleider und Accessoires online kaufen kann. Das Stöbern im Laden erübrigt sich.

Die wohl grösste Veränderung der Modebranche ist aber nicht der Onlinehandel. Es ist die Geschwindigkeit. Während Kitchener für die eigene Kollektion eine Vorlaufzeit von über einem Jahr hat, entwerfen und produzieren sogenannte Fast-Fashion-Anbieter Kleider innert weniger Wochen. Als Erfinderin der schnellen Mode gilt die spanische Kette Zara. Andere wie H & M, New Yorker, Uniqlo und Gap sind aber längst auf den Expresszug aufgesprungen. Sie kupfern ab, was auf den Laufstegen der Modemetropolen präsentiert wird, verändern ihre Kollektionen laufend aufgrund des Kundenverhaltens und bringen praktisch wöchentlich neue Kleider in die Läden. Und das in immer besserer Qualität, sodass sich in der Branche der Begriff Masstige (Masse und Prestige) etabliert hat.

Doch schnell ist einigen nicht schnell genug. «See now / buy now» heisst womöglich die Zukunft. Mode, die heute auf dem Laufsteg präsentiert wird, soll direkt nach der Modeschau online verfügbar sein. Luxusanbieter wie Burberry und Tommy Hilfiger arbeiten daran. In der Branche ist umstritten, ob sich diese Sofort-Mode durchsetzen wird. Doch wenn, dürfte das den Druck auf kleine Modehändler à la Kitchener noch einmal erhöhen. Denn die Schöpfer der Sofort-Mode würden diese – allein schon aus logistischen Gründen – nicht über Dritte, sondern im eigenen Onlineshop verkaufen. (Mischa Stünzi)

Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch

Mit welchen Rezepten sich lokale Läden wie Kitchener und Ciolina gegen die Branchenkrise stemmen.